№4
Die Welt der Anna Depenbusch März 2019

Kichern, knutschen, Kaffee trinken

Über Frühlingsgefühle und künstliche Intelligenz

Willkommen zurück, liebe Sonne! In Hamburg, da wo die lichthungrigen Menschen wohnen, setzt bei Sonnenschein sofort Hochsommerstimmung ein. Hier im Norden können wir den Schalter einfach schneller umlegen, denn meistens ist die Sonne auch ganz schnell wieder weg. Ich glaube, deshalb stehen bei mir im Schuhschrank die gefütterten Winterstiefel immer direkt neben den Flip-Flops. Manchmal muss man je nach gefühlter Temperatur flotte Entscheidungen treffen. Ab +11 Grad ist T-Shirt-Wetter und gestern war genau so ein Tag.

Ich saß draußen auf meinem Altonaer Balkon. Das ist nicht wirklich „mein“ Balkon, aber der schönste und größte Grünstreifen-Balkon, den ich kenne. Mein Lieblingsort oberhalb der Elbe mit Blick auf alles. Hier tankt Hamburg im Frühjahr seinen leeren Vitamin-D-Speicher wieder auf. Und gestern hatten viele genau die gleiche Idee: raus! Licht. Leute. Und mal gucken, wie geht es denn eigentlich dem anderen Geschlecht nach dem Winterschlaf? Es war der perfekte Zeitpunkt, um eine kleine Sozialstudie über die aktuelle Flirtkultur zu starten. Thema: Verkümmert die analoge Face-to-Face-Begegnung in Zeiten der digitalen Vernetzung? Oder kurz gesagt: Macht das Handy den Spontanflirt kaputt? Das möchte ich hier auf der sonnigen Wiese studieren.

Der Auslöser für so einen Gedanken war ein Zeitungsartikel, den ich neulich gelesen habe. Da ging es um die unbewussten Augenbewegungen, die wir alle permanent machen, ohne es zu merken. Mikrosakkaden heißen diese ruck-zuck Blickwechsel, mit denen wir ständig unser gesamtes Sichtfeld nach Auffälligkeiten abscannen. Dieser flüchtige Rundumblick ist evolutionsbedingt. Früher war das nämlich wichtig, um im Wald nicht selbst gefressen zu werden, während man Brombeeren pflückte. Heute ist das wichtig, um im Straßenverkehr nicht von einem lautlosen E-Roller überfahren zu werden, während man sein klingelndes Handy in der Handtasche sucht. Macht Sinn. Laut Zeitungsartikel interessieren sich Apple, Google und Co. sehr für unsere Mikrosakkaden, denn sie verraten (angeblich) in Millisekunden was sich unser Unterbewusstsein wünscht. Damit lässt sich Geld verdienen. Sogenannte Eye-Tracker hinter dem Handydisplay sollen diese Bewegungen nun registrieren und auswerten. (Keine Ahnung, ob das stimmt und ob solche Tracker schon verbaut werden.) Für die Datenauswertung wäre es jetzt gut, wenn unsere Augen so lange wie möglich auf dem Display bleiben. Sonst kann die künstliche Intelligenz nix auswerten. Ist klar. (Mir würde das auch die vielen irritierenden Bilder im Internet erklären. Oft muss ich mehrfach hingucken, weil ich nicht glauben kann, was ich da sehe.)

Was genau bedeutet das denn jetzt für meine Sozialstudie zur aktuellen Flirtkultur? Wird die Menschheit womöglich aussterben, weil Google macht, dass unsere Augen in endloser Reiz-Reaktionsschleife über den Handybildschirm hüpfen? Zuckt kein Blick in Zukunft mehr über den Handyrand hinaus, um ein schüchternes, fremdes Lächeln wahrzunehmen? Was für eine Vorstellung, und in meinen sprunghaften Augen ist das totaler Blödsinn!

Ja, wir leben in einer schnellen, visuell-dominierten Welt. Ich weiß das! Ich bin Sängerin und im Musikbusiness tätig, da gilt „Hülle vor Fülle“, Instagramability vor Inhalt. Aber eben nicht nur. Das merke ich auf meinen Konzerten und in Gesprächen. Denn wir horchen, schnuppern und spüren uns auch durchs Leben. Besonders im Frühling, wenn die Sonne auf der Haut kitzelt.

Gestern auf meinem sonnigen Riesenbalkon habe ich es beobachtet: Sie gingen Hand in Hand. Teenagerpärchen, Rentnerehepaare und alle Beziehungsformen dazwischen. Unzählige verliebte, flirtende Menschen! Mit und ohne Handy. Kaffee trinkend, kichernd und knutschend. Hier tickt zwar keine handylose Zeit, aber sie fühlt sich so an, wenn die Blicke sich zwischen den blühenden Krokussen treffen. Der Frühling ist da! Let love rule.

Nächste Folge: 05. April 2019
"Die Welt der Anna Depenbusch" Kolumne erscheint immer am 1. Freitag des Monats.

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